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„Romeo liebt Julia“ - Die „WolkenRoller“ sind erwachsen geworden

Ein Bericht von Heike Pfingsten, TPZ Lingen

Schule und Kultur, Kulturelle Bildung und Inklusion, generationsübergreifend, multiethnisch, verpackt als Theaterprojekt in Kooperation von mehr als drei Institutionen. Was sich wie der Wunschzettel aktueller Kulturpolitik liest, erlebe ich während der Probenarbeit zu Shakespeares "Romeo und Julia" so: Im Schüttorfer Jugendzentrum Komplex e.V. trudeln die Mitglieder der Theatergruppe "WolkenRoller" ein, um begleitet vom Theaterpädagogischen Zentrum (TPZ) in Lingen an einer Inszenierung zu arbeiten. Während die vierzehn 12- bis 17- jährigen Schüler der Schüttorfer Oberschule sich an mir vorbei in den hinteren Bereich des großen Saals zu ihrem "Wie gehts?" oder "Whats' app" Austausch zusammenfinden, begrüßen mich die Erwachsenen am liebsten mit Umarmung. "Meine Brille ist kaputt gegangen.", "Wie kalt wird es morgen?", "Ich war heut schon beim Zahnarzt.", "Nächste Woche muss ich arbeiten.", sind die Themen über die ich dringend informiert werden muss. Die Erwachsenen, das sind vierzehn geistig und körperlich behinderte Menschen aus dem Umfeld der Lebenshilfe Nordhorn im Alter von bis zu 50 Jahren. Viele von ihnen sind langjährige oder Gründungsmitglieder Theatergruppe, die seit achtzehn Jahren als die "WolkenRoller" bestehen.

In diesem Jahr geht es um das Shakespearestück "Romeo und Julia". Wie immer bei den "WolkenRollern" hält sich das Spiel nicht an die Dichtervorlage. Eine Liebesgeschichte, das ist willkommen. Der Tod der Liebenden aber nicht. Die Erwachsenen haben ihr Publikum vor Augen, Schulkinder,  die sich nicht fürchten sollen wenn sie zur Aufführung kommen. Auch ihnen selbst ist der Tod suspekt und so wünschen sie sich ein fröhliches Ende: eine Versöhnung der Familien und die Hochzeit der Liebenden, die Aussicht auf Familie. Die behinderte Yvonne findet die Figur der Ansagerin für sich. Sie wird die Zuschauer begrüßen und durch das Stück leiten. Eigeninitiativ hat sie einen Text verfasst: "Das Leben mit der Liebe ist schöner: zusammen sein ist schön. Schmusen ist schön. Küssen ist schön. Liebesbriefe schreiben ist schön. Sich vorstellen später mal zu heiraten ist schön und eine Familie zu gründen ist auch schön." Auf der Bühne trägt sie diesen vor. Sie hält eine Schriftrolle in der Hand und wird von zwei Fahnenträgern begleitet. Auf der Bühne einen Text sprechen, ist eine komplexe Aufgabe. Nach vorne gehen, klar und deutlich sprechen, den Blick in den Zuschauerraum richten, die Zeile wiederfinden, weiterlesen. Nicht immer findet sie den Mut dazu. Sich wohlfühlen auf der Bühne, das ist mein Ziel für die Darsteller. Die Schüler fühlen sich sicher, sie kommen zurecht mit Lampenfieber, ihrer Rollenfigur und dem Text. Sie kennen ihre Szenen und können improvisieren, wenn es mal hakt. In unserer Gruppe sind sie die Starken, die den Erwachsenen Mut zusprechen und Halt vermitteln. Und die behinderten Erwachsenen sind Vorbilder, trotz oder grade wegen ihrer Einschränkungen. Herrmann zum Beispiel kann kaum stehen und spricht nur undeutlich. Dennoch schafft er es, sich beharrlich eine der vordersten Positionen zu erobern und der Gruppe sein Wissen und seine Ideen zum Stück mitzuteilen. Arnold verlässt oft der Mut, dann kriegt er kein Wort mehr heraus. Trotzdem kommt er zu jeder Probe und auch Yvonne bleibt bei ihrer selbst gewählten Herausforderung: in diesem Jahr ist sie die Ansagerin. Sie beweist die Fähigkeit zur Entscheidung, erlebt Mut und den Rückhalt durch die Gruppe und von mir. Ich bin ihre Sicherheitsfunktion. Gehe mit auf die Bühne oder übernehme den Text, wenn ihr der Mut aus dem Körper weicht. Wieviel Rückendeckung sie braucht entscheidet sie selbst. Wir drängen nicht. Geht sie allein auf die Bühne, teilen wir ihren Stolz. Jeder eigenständige Auftritt Yvonnes ist uns, hinter dem Vorhang, eine Feier des Muts. Arnolds Sicherheit ist die Spiellust seiner Mitspielerinnen. Sie kennen ihre Streitszene und wissen um seinen Part. Hat er diesen verloren, so improvisieren Manuela und Ulla die Handlungsanweisung zu seiner Aktion: "Du kannst jetzt gehen. Wir brauchen Dich hier nicht mehr.", leiten sie seinen Abgang ein.

Unsere Aufführungen sind Teamarbeit, verpatzte Szenen und Schuldige gibt es nicht. Jede Bühnensituation und -szene geht zurück auf die freie Improvisationsarbeit in der Probenzeit. Die Rollenverteilung und Interpretation beruht auf den eigenen Wünschen und Vorstellungen der Darsteller. Aus Shakespeares "Romeo und Julia" wird "Romeo liebt Julia - Geschichten rund um die Liebe" gespielt von den "WolkenRollern". Es gibt drei Romeos, zwei Julias, Herrn und Frau Shakespeare, Maggie das Hausmädchen des Shakespeare Ehepaars, zwei Ammen, den Fürst von Verona und Prinz Paris, die Ansagerin mit den Fahnenträgern, Romeos Freund Marco, zwei Blumenmänner und den Mönch. Historische Szenen wechseln sich ab mit Szenen aus heutiger Sicht und neuen Interpretationen. Zwei Reporter fragen die Zuschauer nach ihrer Meinung zum Ausgang des Stücks und wollen wissen wer zuvor mehr Beziehungen hatte, Romeo oder Julia? Drei Rocker stören den höfischen Ball, einer der drei Romeos bleibt allein, der andere gesteht seine Liebe zu Julia dem Freund im Fitnessstudio und drei Freundinnen tragen einen handfesten Streit um den begehrten Hans aus. Am Ende werden zwei Varianten gespielt: während die einen in der Liebe auch den Tod finden wendet sich bei den anderen alles zum Guten. Bei den "WolkenRollern" dürfen Romeo und Julia endlich einmal heiraten.

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